Zwei Schwestern im Museum… und im Garten

A reflection on being lighthearted. Inspired by the painting "Two sisters (on a terrace)" by Renoir. German inside!

Zwei Schwestern im Museum… und im Garten

Ich schreibe zur Abwechslung mal auf Deutsch. Hauptsache ich schreibe mal wieder.

Nachdem ich am Wochenende eine Kaffeemesse in Chicago (SCA Specialty Coffee Expo) besucht habe, hatte ich gestern noch einen Tag Zeit, die Stadt kennenzulernen und das Chicago Art Institut zu besuchen. Vor allem wegen seiner Sammlung an europäischen Impressionisten. Wenn man wie so viele andere mit lässig intellektuellem Blick durch ein Museum schlendert und genau weiß, daß man keine Zeit hat, jedes Gemälde genauer studieren zu können, wird man unweigerlich kurz jedes Bild auf sich wirken lassen und einige wenige, die ein gewisses Interesse verursachen, genauer betrachten (ja seien wir ehrlich, der Künstlername auf der Tafel neben dem Bild steuert unser Verhalten ebenso wie die reine künstlerische Ausdrucksstärke des Werkes - confirmation bias, anyone?). 
Wenn man Glück hat, so wie ich gestern, rufen einige Bilder eine starke, einige sogar eine sehr starke emotionale Reaktion hervor. Ich bin in der Malerei eher minder bewandert und kann daher die Technik eines Künstlers nicht wirklich wertschätzen. Emotionen sind alles, was ich wahrnehme, wenn ich vor einem Werk von Monet oder Renoir oder van Gogh stehe: Wut, Mitleid, Schmerz, Verwirrung, Angst, Schönheit, Erhabenheit, Ruhe, Freude, Empathie.

Und so stehe ich nun vor einem Gemälde “Zwei Schwestern” von Renoir und werde plötzlich von Melancholie überwältigt. Fange sogar fast an zu weinen. Warum? Das Bild ist eine einfache Gartenszene. Zwei junge Mädchen, sehr hübsch hergerichtet, auf einer Terrasse an einem See, in irgendeinem Pariser Vorort. Alles blüht, die Pflanzen am See, der Korb der Mädchen und ihre Hüte. Alles in allem eine ästhetisch angenehme Anordnung, das Wetter ist schön, die Welt scheint in Ordnung, die Mädchen sehen glücklich aus, geradezu unbekümmert. Da ist es, das Gefühl: die Wahrnehmung der Szene als Unbekümmertheit ist es, die mich in den Bann der Melancholie zieht.

Unbekümmertheit. Manchmal katapultiert uns die einfache Beobachtung einer Szene zurück in unsere eigenen Erinnerungen und bringt uns etwas zu Bewusstsein, das wir verloren haben. Unbekümmertheit, Sorglosigkeit, wo seid ihr geblieben, wie schön es war, euch zu haben, und wie traurig ist das Bewusstsein, euch für immer verloren zu haben. Melancholie, tue dein destruktives Werk. Aber wir wären ja keine reifen Erwachsenen, wenn wir das lähmende Gefühl nicht einfach abschütteln könnten und wieder zum verantwortungsvollen Handeln übergingen: Melancholie, du bist zu nix gut! Ich muss noch durch die Monet und van Gogh Sektionen! Ich hab ja nicht 30 Dollar bezahlt, um hier vor einem Bild zu heulen!
Das wäre der normale Weg. In diesem Fall habe ich mich entschieden, nicht einfach weiterzugehen, sondern dem Gefühl der Melancholie noch ein wenig nachzustellen. Mein Leben wird nie mehr so sorglos und unbekümmert sein, wie das der idealisierten Mädchen Renoirs. Ich habe ja selbst zwei kleine Kinder. Ihr Leben sollte jetzt, mit 4 Jahren, unbekümmert und sorglos sein. Als Eltern, in unserer Eile unsere Kinder “auf das Leben” (und damit meinen wir unser ermattetes Erwachsenenleben) vorzubereiten, stehlen wir ihnen zu oft diese Momente der Sorglosigkeit. Unser eigenes Leben ist voller Verantwortungen, manchmal auch voller Sorgen oder gar Ängste. Aber diese Gefühle auf unsere eigenen kleinen Kinder zu projizieren, von ihnen ein ähnliches Handeln und eine ähnliche Perspektive zu erwarten, ist in höchstem Maße unfair. Könnten wir nicht oft ein bisschen gelassener sein und aktiv dafür sorgen, dass unsere Kinder in jungen Jahren einfach sein können, einfach die Schönheit eines Moments genießen können, und sich um nichts anderes kümmern müssen? Das Leben ist gewiss nicht Renoirs Garten, aber wir können mit unserer eigenen Kraft für einen Nachmittag die Illusion des Gartens für unsere Kinder, für einen Freund, für ein Familienmitglied, für einen Fremden entstehen lassen, denn wir wissen, dass es eins der schönsten Geschenke ist.

Unbekümmertheit, ich vermisse dich.